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Das geht schon wieder gut los

Montag morgen. Mein hinterer Fahrradreifen ist platt. Nachdem schon die letzte Woche mit einem ungeplanten Zahnarztbesuch geendet hatte, geht es nun offensichtlich gleich schon wieder „gut“ los.
Die Verkäuferin in der Bäckerei wünscht mir eine gute Woche . Schon will ich sagen : „Naja, es hat ja schon schlecht angefangen“, da fällt mir ein, dass ich ja auch sagen könnte:“Ab jetzt kann es nur noch besser werden !“  In meinem Postfach liegt eine neue Ausgabe einer spirituellen Zeitschrift und mein Blick fällt gleich auf einen Artikel über einen Einsiedler, der ganz abgeschieden in einer Hütte in den Bergen lebt. Mir wird zwar schon bange, wenn ich mal ein Wochenende alleine in der Wohnung bin (obwohl über mir noch drei weitere bewohnte Wohnungen sind ) aber an diesem Montag geht meine ganze Sehnsucht zu dem Mann in der Einsamkeit seiner Hütte. Niemals muss er morgens schnell mit Fahrrad oder Auto an seinen Arbeitsplatz fahren, niemals überlegen, wieviele Termine er absagen muss, weil er plötzlich Zahnweh bekommt, nie muss er eine Uhr tragen und er trägt auch nie eine, wie ich gleich beim Lesen des Interviews erfahre.
Das Wichtigste im Leben, so meint er, sei die Frage: „Wie stehen wir in Wahrheit vor Gott ?“
Ich sehe mich, wie ich mit meinem platten Fahrradreifen vor meiner Wohnung stehe und verzweifelt  mit der Luftpumpe im Eiltempo daran arbeite, wenigstens den Weg bis zum Büro zu schaffen. Ich sehe mich, wie ich beim Bäcker noch schnell vor Ladenschluss ein Brot kaufe, wie ich als letzte Kundin auf dem Markt hektisch ein paar Äpfel erstehe und wie ich zwischen Tür und Angel noch eben zwei Emails beantworte, nachts schweißgebadet erwache und mich frage, ob ich daran gedacht habe, einen bestimmten Kollegen anzurufen. Und dagegen die Frage : „Wie stehen wir in Wahrheit vor Gott ?“ Ich schließe die Augen und sehe mich, wie ich an einem klaren Herbsttag die Blattfärbung der Bäume betrachte und das Leuchten der Herbstblätter tief in mich aufnehme. Ich sehe mich, wie ich einen Schwan beobachte, der majestätisch seine Bahnen durch das glasklare Wasser zieht. Ich sehe mich, wie ich meinem Mann aufmunternd zulächle, bevor er eine besondere Aufgabe angeht, wie ich meinem Sohn eine SMS sende mit einem Gute-Nacht-Gruß aus der Heimat, ich sehe, wie ich am Abend eine Kerze anzünde und meinen Blick vielleicht nur kurz aber ernsthaft auf der kleinen Marien-Ikone an der Wand ruhen lasse.
Mir wird klar : Es kommt nicht alles immer noch schlimmer, es kann auch immer besser werden.
Wie stehe ich in Wahrheit vor Gott ? So, wie ich bin : Mal chaotisch, hektisch, gereizt und mal ganz in mir selbst versunken, im Eins-Sein mit der Natur und den Menschen, die ich liebe und die mich brauchen. Und das Eine gehört zum Anderen.
Ich kann diese beiden Seiten in meinem Leben erkennen und im Großen und Ganzen halten sie sich die Waage.
Dies ist die Wahrheit, um die wohl auch der Einsiedler in seiner Abgeschiedenheit nie ganz herumkommt, die Wahrheit unseres Lebens auf dieser Erde.
Der Blick zurück auf das Jahr, den man im Herbst angesichts des welken Laubs und der beginnenden Dunkelheit gerne einmal wagt, könnte im milden Licht der schwächer werdenden Sonne einen ganz besonderen Glanz erhalten : Vieles gleicht sich aus, Vieles relativiert sich. Annehmen zu können, was war und geworden ist und mit den Herbstblättern auch die nicht verwirklichten Ziele einfach loslassen zu können, bis der Schnee endlich alles zudecken wird, das

wäre doch wohl ein gutes Stehen vor Gott

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Eva Meder-Thünemann