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Die Augen des Herzens

Es regnet in Strömen, krachender Donner lässt mich zusammenzucken. Ich höre die Sirene im Unterdorf aufheulen, wenig später das Martinshorn der Feuerwehrautos. Irgendwo ist wieder ein Keller vollgelaufen, die Straße überschwemmt oder auf der nassen Fahrbahn ein Unfall passiert... Gut zu wissen, dass schon Menschen unterwegs sind, um zu helfen!

Das gilt umso mehr für die vielen Gebiete, in denen es in diesen Tagen „Land unter“ heißt. Da gibt es Verwandte, Freunde oder auch ganz fremde Leute, die in ihrer eigenen trockenen Wohnung zusammen rücken und eine evakuierte Familie bei sich aufnehmen. Da kommen Menschen zum Helfen, die gar nicht selbst betroffen sind, aber morgens vor der Arbeit noch Sand in Säcke abfüllen. Studierende verabreden sich über Facebook für Aufräumarbeiten inmitten von Schlamm und Öl. Kinder schicken Kuscheltiere an andere Kinder, deren Spielsachen im Wasser verloren gegangen sind.  „Deutschland rückt zusammen“, so höre ich. Angesichts von Katastrophen ist die Hilfsbereitschaft der vielen Menschen überraschend. Der Gedanke, wie das wäre, wenn es mich getroffen hätte, öffnet manchen die Herzen und die Häuser, macht sie großzügig und kreativ. Gut, dass es diese Erfahrungen von Mitmenschlichkeit gibt!
Aber da gibt es auch die Schaulustigen und „Hochwassertouristen“, die sich auf Kosten derer, die betroffen sind, lustig machen; oder die auf die eine oder andere Art ihren (nicht immer nur) materiellen Profit daraus schlagen. Wer schon einmal in einer Notlage war, kann manchmal zu gut ein Lied davon singen, wie hartherzig und selbstbezogen die Mitmenschen auch sein können. Auch das steckt in uns.
Wenn ich ehrlich bin, auch in mir selbst: hilfsbereit oder abweisend, großzügig oder kleinkariert, selbstsüchtig oder herzlich... Und ich kann und muss mich immer wieder neu entscheiden, wie ich sein will. Wenn die Bibel vom „Herz“ des Menschen spricht, meint sie genau diese Instanz – da geht es nicht um schöne Gefühle und Romantik, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen für mein Tun und Lassen – und für die Konsequenzen, die das für andere Menschen hat. „Die Weisung Gottes im Herzen tragen“ heißt, sich in den kleinen und großen Entscheidungen im Leben an den Maßstäben Gottes zu orientieren „Hiermit lege ich dir heute das Leben und das Glück, den Tod und das Unglück vor“, lässt die Bibel Mose kurz vor seinem Tod sagen. Und er fährt fort: „Wähle also das Leben!“ Wer wollte das nicht?!
Aber manchmal vergessen wir, dass es wirklich an uns liegt zu wählen; und das nicht nur in den großen Fragen, sondern immer wieder in tausend Kleinigkeiten. Immer wieder liegt es an mir, ob ich meiner schlechten Laune freien Lauf lasse oder trotz allem freundlich zu meiner Kollegin bin; ob ich beim Shopping auch an die Näherinnen in Bangladesh oder Guatemala denke und mich bewusst für faire Produkte entscheide; ob ich auch die Not wahrnehme, die es nicht auf die Titelseiten der Zeitung oder in die Bilder der Tagesschau schafft, die weit von uns entfernt Menschen zustößt, die wir gar nicht kennen.
Nicht alles kann und muss ich verantworten, nicht alle Probleme lösen, nicht immer als „Katastrophenhelferin“ unterwegs sein! Aber die Augen meines Herzens nicht verschließen, auf die innere Stimme hören und da sein, wenn ich weiß, dass ich jetzt gebraucht werde, weil gerade beim Nachbarn der Keller vollgelaufen ist – dazu kann ich mir die Freiheit nehmen, immer wieder neu.

Dr. Ursula Silber, Bildungsreferentin in Schmerlenbach