So phantasiert der natürliche Mensch! Geistvoller ist die Aussage, die in der legendären Grablege Maria Magdalenas im burgundischen Vézelay zu finden ist, wo der 22. Juli als „Magdalenentag“ mit viel öffentlichem Interesse begangen wird.
In der „Madeleine“, wie die Basilika liebevoll von den Bewohnern Burgunds genannt wird, reihen sich von West nach Ost vier Raumteile hinter - bzw. untereinander: der dunkle Vorraum im Westen, dann der changierende Wegraum des Langhauses, schließlich der ins strahlende Licht getauchte Chorraum im Osten, darunter die im dunklen Schweigen verharrende Krypta mit den Resten der Gebeine Maria Magdalenas. Die skizzierte Architektur dieser Kirche spiegelt den inneren Weg, den diese Frau gegangen ist, wieder. Es ist ein Weg vom Dunkel zum Licht, ein geistig-seelischer Wandlungsweg. Für sie, eine stadtbekannte Sünderin beginnt durch die Begegnung mit Jesus im Haus Simons des Aussätzigen eine fundamentale Wandlung. Jesu verstehende Worte: „Ihre Sünden sind vergeben, weil sie viel geliebt hat“, öffnet ihr schlagartig eine Bresche, die bis in den Augenblick reicht, als sie am Ostermorgen den Auferstandenen als erste „sieht“. Sie, die Suchende, die Sünderin, ist also letztlich durch das Verzeihen und die Liebe, die Jesus ihr entgegenbrachte, gewandelt worden, so dass ihr ein neues Leben, ein neues Sehen, eine neue Sprache und eine neue Gottesbeziehung aufgingen.
Wenn die lateinischen Kirchenväter, vor allem Papst Gregor der Große, in der Gestalt Maria Magdalenas die namenlose Sünderin im Haus Simons mit Maria aus Bethanien, der Schwester des Lazarus, wie auch mit jener Maria, die unter dem Kreuz steht und dem Auferstandenen am Ostermorgen begegnet, miteinander verschmilzt, so deshalb, um an dieser einen Gestalt einen Wandlungsweg deutlich zu machen, den Jesus im Menschen auslösen kann: Maria Magdalena ist Zeugin einer Wandlung durch Liebe. Aus Gesetzesgerechtigkeit, Besserwisserei und mit Schuldzuweisungen wäre diese Wandlung gewiss nicht geschehen.
Aschaffenburg birgt zwei Magdalenenaltäre. Der eine Altar, vielleicht der bedeutsamere, aus der Schule Lucas Cranachs, befindet sich im Stiftsmuseum, der andere, von Hans Juncker, in der Stiftsbasilika. Im Blick auf diese beiden Zeugnisse aus der Kunstgeschichte bewegt mich immer mehr der eine Gedanke, dass das Christentum der Welt bedingungslos Jesu Weg verzeihender Liebe vorzuleben hat.
Peter Spielmann, pastoraler Mitarbeiter in Obernau