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Gott - ein Werdender?

Einer der tragischsten Texte der deutschen Literatur ist für mich Friedrich Nietzsches Beispielerzählung „der tolle Mensch“. Am hellen Vormittag zündet dieser eine Laterne an, läuft auf den Marktplatz und schreit: „Ich suche Gott! Ich suche Gott.“

 Dem Gelächter der Markplatzbesucher schleudert er entgegen: „Wohin ist Gott? Ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder.“ Und dann beginnt er seine abgrundtiefe Klage über den Tod Gottes: „Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont weg zu wischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten?“ Es sind dies erschreckende Bilder vom Tod Gottes  aus dem Mund eines Philosophen, der sich als „Prophet des Nihilismus“ bezeichnet hat und dessen Lektüre von kirchlicher Seite lange verpönt war. Inzwischen erkennt man ihn als Religionskritiker an, der einem „abgespannten Christentum“, einem Christentum, das seine innere Kraft und seinen Gott vielfach verloren zu haben scheint, den Spiegel vorhält.
Welchen Gott aber sucht „der tolle Mensch“? Gewiss nicht den in sich selbst verliebten „Marionettenspielergott“, der dem Menschen keine Freiheit lässt, auch nicht der „Kontrolleurgott“, der dem Menschen die  Lebensfreude missgönnt. Der Gott, der „ermordet“ worden ist, ist für Nietzsche ein Gott, dem das Werden versagt ist, ein Gott, den der Mensch nicht mit sich wachsen, sondern in sich erstarren lässt. Ein merkwürdiger Glaube an einen Gott, der mit dem Menschen „wird“! Ein Blick in die Bibel zeigt aber gerade diese Gottesvorstellung: Das Bild vom  Stammesgott, an das Abraham glaubt, ist ein anderes als jenes vom Gott des Auszugs, an den Mose oder die Propheten glaubten. Das Neue Testament zeigt am historischen Jesus, dass Gott ein Werdender zwischen Krippe, Kreuz und offenem Grab ist. Zudem kann man täglich erfahren: „Jedes Mal, wenn Gott uns vergibt, sagt er, dass seine eigenen Regeln weniger zählen als die Beziehung, die er zu uns aufbauen möchte.“ (Richard Rohr) Haben wir ein statisches Gottesbild, dann haben wir eine von uns gemachte Vorstellung von Gott. Das aber ist unbiblisch. Wie kann Gott als Liebe etwas Fertiges und Starres sein?     
Das Geheimnis, das im christlichen Glauben an einen ewig seienden und zugleich werdenden Gott verborgen ist, zeigt die Zuwendung vor allem der Mütter ihren Kindern gegenüber, damit sie wachsen und zur vollen Entfaltung kommen können. Innerer Lebendigkeit und entschiedener Zuwendung des Menschen bedarf auch Gott, damit er in uns wachsen und sich ereignen kann.

Peter Spielmann, Pastoraler Mitarbeiter in Obernau