Sie sind erwachsen aus den Hospiz-Erfahrungen von Bronnie Ware. Als Krankenschwester arbeitete sie viele Jahre in der Palliativmedizin. Sie begleitete Menschen in den letzten Wo-chen und Monaten ihres Lebens. Sie kümmerte sich um Kranke, die sich dafür entschieden haben, zuhause zu sterben. In dieser Lebenszeit wachsen Menschen noch einmal, wenn sie sich mit ihrem eigenen Tod beschäftigen. Sie hat viele Dinge zu hören bekommen, wenn im Angesicht des Todes das eigene Leben Revue passierte - wie in einem Zeitraffer. Es gab vie-le Fragen und es gab noch mehr unerfüllte Wünsche. Die drei häufigsten Wünsche an die Vergangenheit, die Sterbende sich eingestanden haben, betreffen Erwartungen von außen an die eigene Person, den Stellenwert von Arbeit und die Bedeutung von Gefühlen.
Ich habe mir diese Liste der Reue immer wieder durchgelesen. Platz eins und Platz drei passen sehr gut zusammen. Sie stellen an mich die Frage: Wie oft versteckst Du Dich hinter den Er-wartungen anderer, um Dich nicht tiefer mit Deinen eigenen Gefühlen und Wünschen ausei-nandersetzen zu müssen. Dadurch kommt eine weitere Frage zum Vorschein: Wie lenkst Du Dich ab und schiebst alles auf die äußeren Umstände? Der Platz zwei der Reue gibt mir da-rauf schon eine mögliche Antwort: mit Arbeit.
Ich wünschte, nicht so viel gearbeitet zu haben, sagen viele Menschen auf ihrem Sterbebett.
Arbeiten und eine Beschäftigung haben, ist lebenswichtig. Sie kann sogar vorrübergehend über Schicksalsschläge und schwere Enttäuschungen hinweghelfen. Es gibt jedoch ein Maß an Arbeit, das überschritten werden kann. Dann wird sie zum Lebensinhalt und bekommt die Aufgabe, andere Fragen in den Hintergrund zu stellen. Gefühle von Trauer und Enttäuschung genauso wie Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit und Zuwendung gar nicht erst zuzulassen. Eine gesellschaftliche Entwicklung, die Arbeit ungleich verteilt, verstärkt diese Haltung bei denen, die Arbeit haben. Und lässt die allein, die auf dem Arbeitsmarkt wenig oder keine Chancen haben. Gerade der zweite unerfüllte Wunsch der Sterbenden hat eine wichtige sozia-le Alarmfunktion.
Ich wünschte, ich hätte Gefühle gezeigt…
Die Reue über unerfüllte Wünsche und Lebenssehnsüchte am Lebensende lässt sich nicht vermeiden. Nicht alles wird in Erfüllung gehen. Es gibt Erfahrungen von Scheitern, die un-vermeidbar sind. Reue und Buße sind altmodische Worte, sie klingen nicht zeitgemäß. Aber das wäre schon einen Buß- und Bettag wert, einen im Jahr wenigstens, wie er nächste Woche im Kalender steht, um nach unerfüllten Wünschen vor dem Lebensende zu fragen. Einen Tag für die unerfüllten Wünsche, die nicht nur egoistisch meine eigene Person betreffen. Denn um die Buße kommen wir nicht herum. Die ist immer schon da, gerade dann, wenn wir ihr aus-weichen wollen und die lebenswichtigen Fragen und Entscheidungen mit Ablenkung und Arbeit überdecken.
Iris Kreile