Unsere Vorfahren wussten noch um die Erkenntnis: „Du kannst nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen!“ Heutzutage wird dieser Versuch nahezu zum Idealzustand eines effektiven Menschen hochstilisiert. Nur wer mehrere Aufgabenfelder gleichzeitig handhaben kann, ist anscheinend zu Höherem berufen. Doch mit welchen Folgen? Früher galt der Satz: „Leben und leben lassen!“ Heute herrscht eher das Prinzip vor: „Leben oder gelebt werden?“
Ich komme mit Menschen ganz unterschiedlicher Berufsgruppen zusammen: Kolleginnen und Kollegen im pastoralen Dienst, Menschen im sozialen Dienst, aus dem Verwaltungsbereich, aus der freien Wirtschaft.. Allen ist eine Einschätzung gemein: Ich weiß oft gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht! Ich komme überhaupt nicht mehr 'rum! Ich weiß nicht, wo die Zeit bleibt.
Beruf – Familie – Hobby – Ehrenamt: all das fordert so viel, dass oft nicht die Zeit zum Durchatmen bleibt. Ist das das Leben, wie wir es wünschen und vorstellen? Ist das das Leben, wie es sich Gott für uns wünscht und vorstellt?
Wie feiern mit der Osternacht und dem Osterfest von Neuem „das“ Fest des Lebens; das Fest unseres Lebens, das Fest des Lebens, das Gott schenken will. Nehmen wir uns doch wieder einmal bewusst Zeit, dieses Geschenk Gottes in Ruhe und in Muße anzusehen. Uns nicht schon wieder hinein stressen zu lassen in die letzten Feiertagsvor – bereitungen mit Einkäufen für das Familienessen, Geschenken für die Lieben, Hausputz oder Kofferpacken für den Osterurlaub.
Es geht um's Leben, um unser Leben. „Stell' Dir vor es ereignet sich Auferstehung und keiner kriegt's mit!“ - um es in Abwandlung eines Ausspruchs von Berthold Brecht zu sagen. In einem geistlichen Lied heißt es: „Manchmal feiern wir mitten im Tag ein Fest der Auferstehung!“ Wann haben wir diese Erfahrung zum letzten Mal ganz konkret gemacht? Wann haben wir die Erfahrung von neuem Leben mitten im grauesten Alltag erfahren dürfen?
In der Begegnung mit einer Menschen, der mir eigentlich sehr am Herzen liegt, den ich aber schon lange aus dem Blick verloren hatte?
In einem klärenden Gespräch nach einer längeren Perioden der Eiszeit nach einem Streit?
Durch die erlösende Diagnose über den eigenen Gesundheitszustand nach der langen Zeit des Bangens?
Durch die Perspektive eines beruflichen Neuanfangs nach einer langen Zeit der Arbeitslosigkeit?
Auferstehung hat viele Gesichter. Wir brauchen die Zeit und die innere Ruhe, um sie zu entdecken in der Hektik des Alltags. Das neue Leben lässt sich finden. Aber wir dürfen nicht daran vorbei laufen. So wie es in einer jüdischen Geschichte heißt: Der Berditschewer sah einen auf der Straße eilen, ohne rechts und links zu schauen. „Warum rennst du so?“ fragte er ihn. „Ich gehe meinem Erwerb nach“, antwortete der Mann. „Und woher weißt du“, fuhr der Rabbi fort zu fragen, „dein Erwerb laufe vor dir her, dass du ihm nachjagen musst? Vielleicht ist er dir im Rücke, und du brauchst nur inne zu halten, um ihm zu begegnen, du aber fliehst vor ihm!“ (Hoffsümmer, Kurzgeschichten 4; S. 124)
Wolfgang Kempf, Dekan in Aschaffenburg