Im Kleinen und sehr Konkreten ist bei dem Kind und bei mir angekommen, was die Welt im Großen dringend braucht: ein Haltung, die das Leben als ein Geschenk versteht und die uns deshalb verpflichtet, anderen von dem abzugeben, was uns geschenkt wird.
Aber genügt das schon? Bischof Erwin Kräutler, gebürtiger Österreicher und Oberhaupt der größten Diözese der Welt im brasilianischen Urwald, hat bei seinem Besuch vor kurzem im Aschaffenburger Martinushaus dazu Bedenkenswertes gesagt. "Die samaritanische Dimension ist immer die leichtere, man hilft dem, der unter die Räuber gefallen ist. Aber bei der prophetischen Dimension, nämlich dass man sagt, wenn etwas nicht im Sinne Gottes ist, wenn sich etwas gegen die Menschwürde richtet, da ist es nicht mehr so einfach." Kräutler ist so einer, der sich das traut. Er nimmt laut Stellung da, wo er Unrecht sieht und eckt damit des Öfteren bei den Mächtigen an. Die Not lindern ist auch ihm wichtig, doch wenn sich die Verhältnisse bessern sollen, dann muss man vom Teilen zum Mit-Teilen kommen, muss man Aufmerksam machen auf ungerechte Verhältnisse und für deren Verbesserungen kämpfen. Das bedeutet auch, etwas riskieren, denn Propheten ernten nicht nur Applaus.
In Aschaffenburg war nach dem Brand in den Kaufhäusern der Diakonie und des Vereins Grenzenlos Anfang September die Bereitschaft der Menschen groß, den beiden Einrichtungen wieder auf die Beine zu helfen und damit den Bedürftigen in der Stadt schnell wieder eine Anlaufstelle zu geben. Das ist ein gutes Zeugnis für eine Kommune, die den Heiligen Martin als Patron gewählt hat. Doch der darf nicht auf die schöne Szene der Mantelteilung reduziert werden. Als Bischof riskierte er sein Leben, als er sich vor dem mächtigen Kaiser Maximus und gegen den Willen mächtiger Kirchenvertreter lautstark für zu Tode verurteilte Häretiker einsetzte. Sein Zeugnis verpflichtet, auch für Strukturveränderungen zu kämpfen, damit die Liebe Gottes aufscheinen kann, nicht wie die Lichter der Laternen beim Martinszug nur für eine Nacht, sondern dauerhaft wie eine fest installierte Straßenlaterne. Das Teilen des Martinsweck ist der Anfang. Das Mit-Teilen, wo wir auf Kosten anderer leben und die Konsequenzen daraus ziehen - das sind die nächsten Schritte.
Burkard Vogt, Gemeindereferent