Beim ersten Gang durch den Flur tastet er vorsichtig mit einer Pfote die neue Einlegeware ab. Nein, da ist etwas ganz und gar nicht nach seinem Sinn! Schnell zieht er die Pfote zurück und entscheidet sich spontan, am schmalen Randstreifen direkt an der Wand entlang zu gehen, um dieses neue, unheimliche Ding nicht betreten zu müssen. Konsequent behielt er seitdem diesen Umweg bei. Eines Tages aber stand der Einkaufskorb mitten auf seiner Schneise und nun hatte er keine Wahl mehr: Wenn er zu seinem Fressnapf wollte, musste er über den neuen Teppich gehen. Nach kurzem Zögern ging er beherzt drüber, etwas schneller als normal, aber nach ein paar Schritten hatte er es geschafft. "Nun weiß er, dass man nicht im Moor versinkt, wenn man da drüber läuft" dachte ich und war mir sicher, dass er von jetzt an wie vorher mitten durch den Flur laufen würde. Doch ich hatte mich getäuscht - so bald der Weg wieder frei war, nahm er lieber wieder seinen Schleichweg an der Wand lang und so ist es geblieben: Wenn es nicht anders geht, dann läuft er schnell über den Teppich drüber, ansonsten aber meidet er dieses Ding wie die Pest. Ist das typische Katzensturheit? Oder vielleicht eine Urangst, im weichen Grund versinken zu müssen? Oder ist er einfach dumm und kann nichts dazu lernen? Letzteres schließe ich natürlich aus, dazu kenne ich meinen Kater viel zu genau, er ist selbstverständlich die klügste Katze überhaupt.
Wenn ich so das Verhalten meines Katers beobachte, muss ich schmunzeln. Ich finde es schön, wie er die Zartheit des Neuanfangens zelebriert. Dieses Hin-und Her, dieses vorsichtige Ausprobieren, dieses Schleichen. Dann wieder mutig und entschlossen Vorangehen und beim nächsten Mal lieber doch noch mal in die alten Verhaltensmuster zurückfallen. Das hat sowohl etwas Amüsantes als auch etwas sehr Beeindruckendes.
Stellen Sie sich mal vor, es wäre uns vergönnt, an neue, erschreckende Dinge ebenso vorsichtig herangehen zu können: Veränderungen würden vielleicht etwas langsamer geschehen, dafür aber um so sicherer, ohne Verletzungen. Rückschritte könnten wir mit Gelassenheit und Geduld aushalten. Denn ob es nun Sturheit, Dummheit oder eine unbestimmte Urangst ist, die uns zögern lässt, Veränderungen anzugehen- ein solches Verhalten ist nicht nur typisch Katze, es ist erst recht typisch Mensch! Es könnte sinnvoll sein, sich selbst und anderen zuzugestehen, Neues vorsichtig und in angemessenem Tempo anzugehen.
Übertragen auf unsere alltäglichen Themen fällt mir da Einiges ein:
Der vorsichtige Neuanfang zweier Menschen, deren Beziehung schon am Scheitern war. Die geduldige, liebevolle Gelassenheit einer Mutter bei den schulischen Misserfolgen des Kindes. Der lange Atem eines Meisters im Umgang mit einem besonders schwierigen Lehrling. Die Gelassenheit eines Pfarrers bei der Vorbereitung der Kinder auf Erstkommunikation oder Konfirmation. Die vorsichtige Freude der Gläubigen bei den ersten Zeichen eines neuen Anfangs durch Papst Franziskus. Der verständnisvoll geäußerte Trost einer Freundin bei einer nicht durchgehaltenen Diät.
Manchmal lohnt es sich, das Aushalten zu lernen und gelassen damit umzugehen, dass es zunächst einen Schritt vor und wieder zwei zurück geht. Wichtig ist, dass überhaupt Bewegung stattfindet.
Irgendwann ist die Angst bezwungen, der neue Weg auf einmal gangbar.
Eines Tages wird vielleicht auch unser Kater mitten über den neuen Teppich gehen. Ich weiß jetzt schon, dass mir dann etwas fehlen wird.
Eva Meder-Thünemann, Gemeindereferentin in der Citypastoral